Erfahrung der Woche: Angst. Das erste Mal auf meiner gesamten Reise habe ich mich wirklich unwohl gefühlt. Und dass, obwohl ich mich an dem gleichen Ort vorher immer so wohl gefühlt hatte. Dieser Ort nennt sich unter den Backpackern “Chicken Bus”, weil darin neben einer beträchtlichen Anzahl an Menschen, eben auch Hühner transportiert werden, sowie Lasten auf dem Dach, die das Volumen des eigentlichen Busses durchaus überragen. Es handelt sich dabei um ziemlich poröse, ehemalige amerikanische Schulbusse, angespült in den wildesten Farben, beschallt mit Latinomusik (und “Modern Talking“) in einer Lautstärke, dass ich mir teilweise Taschentücher in meine, ohnehin schon schlecht funktionierenden Ohren stopfen musste. Das Reisen in diesen Gefährten gehörte aber für mich immer zu einem Teil des Landes, der Kultur und ich hatte mich auch in Nicaragua oder Panamá schon gerne mit den Einheimischen Insassen unterhalten. So war es also selbstverständlich, auch in Guatemala auf diese günstigste Art zu reisen. Bis wir eines abends in einem Café zufällig in der Zeitung lasen, dass eben solch ein Chicken Bus “mal wieder” attackiert worden, und dabei ein Mensch ums Leben gekommen sei. Das passiere nur ein, zweimal im Monat, sagte uns der Kellner, der unsere Sorge überhaupt nicht zu verstehen schien. Hatte ich am vorherigen Tag noch genossen neben all den bunt gekleideten Einheimischen eingequetscht zu werden, guckte ich nun mit Argwohn in der engen Blechkarre umher. Hatte ich es gestern noch gemütlich gefunden, mit all den alten Guatemalteken durch die extrem neblige Landschaft zu brausen, blieb mir nun bei jeder Vollbremsung der Atem stehen. Hatte ich es vorher noch völlig normal und harmlos gefunden so zu reisen, schwor ich mir nach diesem einen letzten Chicken Bus den wir noch nach Guatemala City nehmen musste, in diesem Land keinen Fuß mehr in diese rasenden, überfüllten Schrotthaufen zu setzen. Und es wurde die schlimmste Fahrt meines Lebens. Der Bus schien schneller denn je die kurvige Landsstraße hinauf und hinab zu schießen. Statt der dudelnden Latinomusik plärrte tatsächlich Dieter Bohlen durch den Bus und, man denkt es könne schon nicht mehr schlimmer werden, dann passierten wir zu allem Überfluss auch noch eine Unfallstelle an der tatsächlich “mal wieder” ein solcher Bus attackiert worden war. 5 Tote und 8 Verletzte, wie später die Zeitungen berichteten. Uns selber war es nie gefährlich erschienen, wir hatten im Gegenteil die freundliche Art der Guatemalteken geschätzt und uns wohl und sicher bei ihnen gefühlt. Wie einen das Gefühl trügen kann. Trotzdem muss man auf einer Reise durch solch ein Land auf sein Glück vertrauen und darf zur falschen Zeit nicht am falschen Ort sein. Die kleinen Shuttlebusse, mit denen reiche Touris durch das Land reisen, müsste eigentlich viel mehr für Raubüberfälle gefährdet sein (was auch der Grund war, warum wir die von den armen Einheimischen genutzten Busse vorzogen). Ich kann den zitternden Leser (und vor allem meine arme Mutter) beruhigen, ich werde von nun an nur noch die teureren, komfortableren Direktbusse nehmen (in denen, soweit man mir sagte, nichts passiert) und noch besser auf mich aufpassen. Es war das erste Mal auf dieser Reise, dass ich in Frage stellte, ob dieses Risiko den Spaß wert ist den das Reisen mir bereitet. Für mich selber ist die Antwort darauf “Ja”, denn ein Risiko habe ich auch, wenn ich zuhause mit dem Fahrrad zur Arbeit fahre. Und das macht lange nicht so viel Spaß. Das Wichtigste ist Respekt vor der Situation zu haben, aber nicht paranoid zu werden. Sind ja nur noch 10 Mal Schlafen, bis ich wieder im angeblich so sicheren Deutschland bin. Ich hoffe ihr könnt jetzt überhaupt noch schlafen, denn sonst sind es noch 20 Tagnächte bis zu meiner Landung.
Ort der Woche: Der Kunst-, Souvenir- und Wochenmarkt in Chichicastenango (und dies ist nicht der komplizierteste Ortsname in diesem Land). Donnerstags und Sonntags schlängelt sich durch die hübsche kleine Hügelstadt ein Markt, der seines Gleichen sucht. An hunderten kleinen Ständen bieten Einheimische aus dem ganzen Lande ihre Ware preis. Von dampfendem schwarzen Mais, über handgewebte traditionelle Trachten, Kissen und Decken und komischen Wurzeln die angeblich gegen Geschlechtskrankheiten helfen (unschöner Weise einer der belebtesten Stände), gab es auf diesem Markt alles, was ein sich bald nach Hause reisender Tourist sich nur wünschen kann. 8 Stunden bummelte und shoppte ich mit meinen beiden Freundinnen (ein Mann wäre schon beim Anblick des Marktes in Ohmacht gefallen) um die Wette und füllte meinen Rucksack mit wunderschönen Mitbringseln aus dem fernen Land. Gut nur, dass ich all das Zeug für die letzten 2 Wochen bei einer Bekannten in Guatemala City abstellen kann, so muss ich nur irgendwie nach Hause kommen, aber zum Glück nicht weiter durch die Gegend reisen. Jetzt ist mein Rucksack voll mit kleinen Stücken dieses Landes, dass ich zu lieben beginne und an das ich mich durch die Mitbringsel so viel leichter erinnern werde.
Beobachtung der Woche: Ich bin froh, dass ich in meiner Seifenblase lebe. Ein Grund meiner Reise nach Lateinamerika war, einmal aus meiner heilen Welt zu treten und mir die andere, wie mir schien, viel realere Welt anzusehen. Ich habe Menschen an Straßenrändern liegen sehen, die eher wilden Tieren als meinen eigenen Artgenossen glichen. Ich habe Müllberge so hoch wie Wohnhäuser gesehen. Und faltige Gesichter so tief von Sorge und Leid zerfurcht, dass sie aussahen wie geschnitzte Holzmasken. Ich habe mich gefürchtet vor der Gewalt in Rio de Janeiro oder Guatemala City, habe gelernt, dass hier ein Menschenleben weniger wert ist als ein Handyapparat. Und ich bin trotzdem nicht aus meiner Seifenblase herausgebrochen. So nah dieser Bus, in dem fünf Menschen erschossen wurden auch physisch war, alles blieb irgendwie unreal und fremd. Und ich denke, das ist auch gut so. Diese Welt hier ist nicht realer, nur weil sie schrecklicher ist, sie ist einfach nur extrem anders. Und ich schätze mich extrem glücklich, dass ich nicht heraus muss aus meiner Seifenblase. Das soll nicht heißen, dass mir das hier gesehene Leid nicht nahe geht. Ich habe aber begriffen, dass es nicht leicht sein würde, diese Welt ebenfalls in eine Seifenblase zu packen. So sehr ich die Menschen durch das Reisen zu schätzen gelernt habe, ich habe auch gelernt wie sehr ich sie hasse – für die Ungerechtigkeit, die sie auf dieser Welt herrschen lassen. Für die Grausamkeiten, die sie einander antun. Ich weiß jetzt, Deutschland ist gar nicht so schlecht. Wir können auf der Straße herumlaufen ohne Angst zu haben (etwas, worauf ich mich jetzt, unter anderem, am meisten freue), wir brauchen uns auch vor Wirbelstürmen nicht zu fürchten (und doch regen wir uns über das Wetter auf), nicht vor dem Verhungern (wir sorgen uns eher um unsere Bikinifigur) oder unserem Staatsoberhaupt (und regen uns über Angie Merkel auf, obwohl wir selbst wählen konnten). Mit all den Problemchen, die wir in Deutschland haben, leben wir in einem Land, das uns höchste Lebensqualität bietet. Das fällt einem wohl erst auf, wenn man gesehen hat, wie es in anderen Ländern zugeht.
Viech der Woche: Angsthase. 1,77 groß ist er, mit grünen Augen und ziemlich kleinen Ohren (die extrem schlecht hören). Er hat blondes Fell (besonders auf Kopf und Unterarmen) und sein größtes körperliches Talent liegt wohl darin, dass er schnell rennen kann. Zum Glück musste ich das bisher noch nicht, aber meine Angst schien durchaus größer zu sein als die meiner beiden (jüngeren!) Mitreisenden. Aber Angst macht vorsichtig und das ist gut. Und jetzt ist sie auch schon wieder verflogen (die Vorsicht nicht) und ich freue mich wieder auf die letzten 10 Tage meines Abenteuers.
Investition der Woche: Insgesamt 63 Euro für 100 % Handarbeiten, 100% Echtheit, 100% Qualität und unendliche Souvenirs (die zu großen Teilen gar nicht für mich sind). Diese Woche war die Woche der Märkte. In Totonicapán (ich warnte ja bereits vor den Namen der Städte) ging es beim Dienstagsmarkt los, in Chichicastenango fand das Shoppen Donnerstag seinen Höhepunkt und dann im Supermarkt in Guatemala City ein feuriges Ende (die heimische Chilisauce). Ich habe die ganze Reise über billig gegessen, billig geschlafen, bin billig gereist und hab kaum geshopped, damit ich am Ende Dinge kaufen kann, die nicht wie meine wundervolle Zeit hier vergehen, sondern mich ein Leben lang daran erinnern. Ich finde 63 Euro sind da ein echtes Schnäppchen und eine gute Investition.
Rest der Woche: Von San Marcos ging es über Panajachel nach Totonicapán. Von dort über Quetzaltenango (freundlicher Weise auch Xela gennant), nach Chichicastenango (einfacherheitshalber auch Chichi genannt) und schließlich zurück nach Guatemala City. In 7 Tagen gab es 3 Mal Stromausfall, 3 Mal Guacamole, endlich einmal Tamales (in Bananenblätter gewickelter Maisfladen mit Fleisch) und jede Menge neue Erfahrungen und Erlebnisse. Den Rest der anfänglich so stressigen Woche erholten wir uns im Fort Knox Guatemala Citys, einem hübsch eingerichteten Haus von einer Bekannten meiner Mitreisenden. Wir wurden in einen Club der Reichen zum Schwimmen und Saunen mitgenommen, aßen jeden Tag herrlich leckeres Essen, schliefen in gemütlichen (und vor allem sauberen) Betten und gingen ins Kino und zum Shoppen. Ich fühlte mich fast wieder wie ein normaler Mensch (in einer normalen Welt). Ich freue mich darauf, wenn in 10 Tagen meine Welt auch wieder so aussieht. Ich habe genug Abenteuer mit fremden Menschen, Ländern und Tieren gehabt. Jetzt freue ich mich auf die Menschen, die in der schwarz-rot-goldenen Seifenblase auf mich warten. Aber vorher geht es noch zur weltberühmten Maya Ruine Tikal und zu einer kleinen gemütlichen Karibikinsel in Belize, wo ich mich zwischen den beiden Abenteuern mal ganz kurz ausruhen werde.
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