Erfahrung der Woche: Allein. Das erste Mal auf der gesamten Reise (ja sogar in meinem Leben) war ich tatsächlich richtig allein. Und um diesen, durchaus erwünschten, Zustand zu erreichen, musste ich mich selber austricksen, völlig Hals über Kopf den Bus verlassen und vor den frisch gemachten Reisebekanntschaften flüchten. Es sei also allen gesagt, die eine solche Reise nicht alleine unternehmen mögen: Man reist so oder so nie alleine. Aber ich wollte es ausprobieren und ich habe es genossen. Ich habe 3 Tage, in einem leeren Hostel mit einer Hängematte und dem ganzen Nicaragua See für mich allein, die Ruhe genossen. Und dann, nachdem ich vom Hausmeister mit zwei geschenkten Trinkkokosnüssen verabschiedet worden war und in San Juan del Sur ankam, war es dann auch schnell wieder vorbei mit der Ruhe. Kaum war der Rucksack abgestellt, wurde ich schon von einem Bettnachbarn zum Supermarkt begleitet. Es wurde gemeinsam gekocht und am nächsten Tag standen mir bereits für diverse Routen verschiedene Reisebegleiter zur Verfügung. So sehr ich das Alleinsein auch genossen hatte, als ich in San Juan per Zufall (weil der es beim Reisen eben immer so will) die aller erste Reisebekanntschaft aus Brasilien im Hostel wieder traf, entschloss ich ihre Gesellschaft noch 2 weitere Tage zu genießen. Alleinsein ist schön, (gute!) Gesellschaft ist besser. Stundenlang tauschten wir uns über unsere Beobachtungen und Erfahrungen der Reise aus und erfreuten uns der Gemeinsamkeiten. Ich bleibe also bei dem Grundsatz “Happiness is only real when shared” (Into the Wild). Es kommt aber drauf an mit wem man teilt. Und manchmal gibt es Tage, da will man einfach mal gar nichts teilen, sondern alles für sich alleine haben. Denn so kann man die Dinge um sich herum viel besser aufsaugen und beobachten. Und so kann man sie später viel besser mit seinen Lieben teilen.
Ort der Woche: Der „Ort der Woche“ ist wohl das größte Problem des Reisenden, denn mit seinem Fund stellt sich immer auch gleich die Frage, wann man ihn wieder verlassen soll – die verfügbare Zeit ist schließlich begrenzt. Es ist eine schwere Entscheidung, ob man seinen Rucksack einmal ausgepackt lässt und einen Ort zu einer Art Heimat werden lässt oder, ob die Neugier und Sehnsucht nach neuen Abenteuern zu groß ist. Wovon hat man mehr? Einen Ort mit seiner ganzen Seele kennenzulernen und dafür 2 Wochen zu investieren oder jeden Tag völlig neu von etwas beeindruckt zu werden? Da ist diese Sorge, man könnte etwas verpassen, wenn man nicht versucht möglichst viel zu sehen. Aber gleichzeitig fürchtet man auch, dass man etwas verpassen könnte, wenn man einem Ort zu schnell den Rucksack bepackten Rücken zukehrt. Wer weiß denn schon, was einen an dem nächsten eingekringelten Städtenamen erwartet, der da anonym auf der von Reisetipps gesprenkelten Landkarte liegt. Wenn man neue, nette Leute oder alte Bekannte trifft oder einfach den Moment in einem Ort genießt, dann vergeht für ein, zwei Tage das Gefühl, man könnte etwas anderes verpassen. Irgendwann ist man dann wieder bereit für den nächsten Ort der Woche. Ganz irgendwann wird der Ort der Woche dann das Zuhause sein. Ich kann nur hoffen, dass man dafür dann auch bereit ist. Noch habe ich 5 Wochen für andere, fremde, aufregende Orte der Woche. Und das ist momentan alles wofür ich bereit bin.
Beobachtung der Woche: Die wohl wichtigste Kategorie für meine Reise. Denn man muss tatsächlich genauer hingucken, wenn man das Land verstehen will durch das man reist. Es enthüllt sich nicht so einfach vor einem, gibt seine Geschichten nicht einfach so preis. Man kann sich mit dem hübschen Gewand zufrieden geben in dem sich, gerade Länder wie Nicaragua, einem präsentieren. Man kann hunderte Fotos davon schießen wie von einem hübschen Fotomodell und es in bester Erinnerung behalten. Will man aber die Seele eines Landes entdecken, muss man auch hinter die hübsche Fassade einen Blick werfen. Eine dicke Frau an einer Bushaltestelle, ein 79-jähriger Mann in meinem Hostel in Granada, die liberalste verfügbare Zeitung, das Internet, alle fügten Puzzelteile zum meinem eigentlichen Bild des Landes bei. Erst wenn man die politische und wirtschaftliche Lage eines Landes kennt, kann man sich gegenüber den Menschen darin angemessen verhalten. Die Taxifahrer können einen wahnsinnig machen, wenn sie einem ihre Dienste anbieten. Sie kommen einem vor wie ein kleines Kind, dass dieses Spiel spielt, bei dem man immer einmal mehr etwas sagen will als der andere. Man sagt “Nein, danke!” er sagt: “Taxi, taxi chica!”, man sagt “Nein!!”, er sagt “Taxi? Taxi?”. Erst wenn man die Jobsituation und Armut des Landes kennt schafft man es, zweimal mehr als er, zu sagen “Nein, DANKE!”. 50 % Arbeitslosigkeit und die Armut sind erschreckend hoch, seine Kinder zuhause eben extrem hungrig. Und auf die eigene Fragerei reagieren die Leute ja auch ziemlich freundlich und geduldig. Busnachbarn, Museumswärter, Taxifahrer und sonstige Einheimische geben bereitwillig Auskunft darüber, dass sie den Präsidenten des Landes, Daniel Ortega, nicht mögen, weil der ein korrupter Mistkerl ist der auch heute noch all die ungerechten Dinge tut, von denen man im Politikunterricht mal gehört hat, die aber immer nur Geschichten des Lehrers waren. Die Polizisten pfeifen einem nicht nur hinterher, sie sind auch Handlanger Ortegas, die Leute festnehmen die auf ihren großen Boss pfeifen (und dies zu lautstark verkünden). Nicaragua ist eben nicht nur ein Land mit 11 Vulkanen, schönen Stränden, leckerem Kaffee und netten Menschen. Es ist ein Land mit vielen Problemen, dass darauf angewiesen ist, dass Leute aus dem Ausland hinter die Kulissen blicken. Wer sonst soll verhindern, dass sich der große Boss und Chávez-Freund bei den Wahlen im November zum dritten Mal (zuviel) zum Präsident macht. Man beginnt das Land mit anderen Augen zu sehen, man nimmt quasi die rosarote Touribrille ab und plötzlich ist nicht mehr alles nur noch schön. Aber man beginnt zu verstehen und genauer zu sehen. Ich kann jetzt nicht mehr so knallhart Preise herunter handeln, kaufe mein Obst auf dem Markt bei den Bauern obwohl es etwas teurer ist als die große Supermarktkette, die es im ganzen Land gibt. Ich freue mich über die bereitwillig erzählten Geschichten der Einheimischen, beobachte ihre erfreuten Augen, wenn ein Touri den Namen ihres Präsidenten kennt. Es fühlt sich plötzlich an, als hätte man sich es jetzt erst verdient dieses Land zu bereisen. Es ist nun zwar nicht mehr nur noch schön, dafür aber echt. Und das macht es umso liebenswerter.
Viech der Woche: Papageien. Auf der Isla Ometepe hält man Schweine statt Hunde, in San Juan Papageien statt Schweine. In vielen Häusern sitzen prachtvolle Papageien auf den Gartenzäunen oder in Käfigen die vor der Tür stehen. Ich hätte auch mit ihnen gerne mal über ihr Bild von Nicaragua gesprochen. Sie wollten aber einfach nicht sprechen. Oder sie hatten Angst vor Ortegas Polizisten. Dabei wäre so eine Schnabel zu Schnabel Propaganda doch mal eine hübsche Methode einen Präsidenten zu stürzen.
Investition der Woche: 1 Busfahrt San Juan – Granada und 0,5 frisch gepressten Fruchtsaft. Das kostete mich zusammen 30 Cordoba (1 Euro). Würde man auf Reisen in Ländern wie Nicaragua anfangen Preise in Euro umzurechnen, würde man vor Freude mit seinem Geld nur so um sich werfen. Alles erschiene einem so günstig, dass man sich ruhig mehrere Male am Tag ein Eis gönnen könnte oder jeden Abend im Restaurant essen gehen würde. Ist man aber clever (und sparsam), rechnet man nicht in Euro um, sondern in Hostelübernachtungen, Bustickets oder Essen. Statt für 90 Cordoba im Restaurant zu essen (3€), kauft man für 30 Cordoba (1€) im Supermarkt ein leckeres Abendessen, da man für die gesparten 60 Cordoba, mit dem Bus das halbe Land bereisen könnte. Nur so bekommt man ein Gespür für das Verhältnis des Geldes und spart sich jede Menge davon. Hinzu kommt, dass man für diese 30 Cordoba auch noch das perfekte Abendessen im Sonnenuntergang mit Meerblick auf einem hübschen Balkon bekommt. Der Balkon gehörte zu unserem 8 Dollar günstigem Hotelzimmer und er beweist, dass man nicht unbedingt viel Geld braucht um ein schönes Essen zu genießen. So ein Picknick auf dem Balkon oder am Strand ist doch viel schöner als jedes Restaurant, in dem man sich über das Essen, den Kellner oder die Rechnungen ärgern könnte. Ich kann nicht sagen, ob Reichtum wirklich unglücklich macht. Ein Backpackerbudget macht es auf jeden Fall nicht. Es kann sogar ziemlich glücklich machen, wenn man es richtig anstellt.
Rest der Woche: Eine schöne Woche in Nicaragua ist einfach so vorbei gerast. Ich habe viel gelernt auf meinem Weg von der Isla Ometepe bis nach Granada. Land, Kultur, Leute, alles wurde mir immer sympathischer. Ich verliebe mich richtig in das Land, von dem ich bis vor kurzem noch überhaupt gar nichts wusste. Ich beendete die Woche mit einem herrlichen Sonntagnachmittag in Granada, an dem ich mir ein Baseballspiel ansah (der Nationalsport) und eine der Landesspezialitäten, Vigorón probierte (Krautsalat mit Yucca und Schweinefleisch). Ich hatte für dieses Land zwei Wochen eingeplant, die sind jetzt schon beinahe um und es liegt noch viel vor mir, was ich hier entdecken will. Ich werde also El Salvador links liegen lassen, rechts über Honduras nach Guatemala reisen und die letzten Wochen dort verbringen. Am Ende der nächsten Woche, so viel ist klar, werde ich jedenfalls immer noch in Nicaragua sein.
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