Cabo de la Vela // Ciudad Perdida

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Erfahrung der Woche: Eine Reise bis an das Ende der Welt. Oder das Ende der Fahnenstange, das Ende Kolumbiens. Oder, wie es auf Spanisch in einen Ortsnamen gefasst wurde: Cabo de la Vela, das Ende der Kerze. Es war das erste große Abenteuer. Abseits des Touristentrampelpfades, auf dem sich alle Backpacker mit dem Lonely Planet in der Hand durch die gleichen Orte Südamerikas bewegen und ähnliche Erfahrungen machen. Ein kolum­bianischer Freund hatte mir den Ort empfohlen, aber auch betont, ihn besser nicht alleine zu besuchen. Alle weiteren Befragten bestätigten mir dies und so gab ich meinen Wunsch, an den letzten Zipfel Kolumbi­ens zu reisen beinahe auf, bis ich am Abend vor meiner Abreise in den Süden, doch noch 3 Mädels kennenlernte, die mich begleiten wollten. Im ersten Bus ans Ende Kolumbiens wollten die restlichen, ausschließlich kolumbianischen, Mitreisenden uns so eifrig bei der Weiterreise hel­fen, dass wir die um uns herum stehenden und über unsere Rücken­lehnen hängenden Herrschaften kaum verstehen konnten. Trotzdem, und gleichzeitig deshalb, befanden wir uns irgendwann auf klapprigen schmalen Bänken auf der Ladefläche eines Pick-Ups und holperten durch die immer karger werdender Landschaft. Zwischen Benzinka­nistern – Boxen, deren Inhalt wir nicht kannten – Tüten und einer großer Anzahl Einheimischer (teilweise in ihren Trachten), saßen wir zwar nicht sonderlich bequem, genossen aber trotzdem irgendwie Teil des ganzen Wirrwarrs zu sein. Das Örtchen Cabo de la Vela, das wir kurz vor Son­nenuntergang erreichten, bestand aus zwei staubigen Straßen, besser gesagt Wegen, die parallel zum hellblauen karibischen Meer verliefen. Die Hütten bestanden aus Stroh, Lehm oder bestenfalls völlig maroden Steinwänden, das Hostel hatte kein fließendes Wasser und nur von 18-22 Uhr Strom. Und wir vier Mädels waren die einzigen Ausländer im Dorf, alle anderen Reisenden waren Kolumbianer. Genau nach so einem Ort habe ich seit langem gesucht. Er bestach nicht unbedingt durch seine Schönheit, dafür umso mehr durch seine Echtheit. Das Volk der Wayuu lebt hier in der Provinz “La Guajira” unter harten, wüstenähnlichen Bedingungen und lebt größtenteils vom Knüpfen kleiner bunter Taschen (Mochillas) und wunderschöner bunt verzierter Hängematten (Chin­chorros), die sie an kaum jemanden verkaufen können, weil ja keiner da ist. Es war der ärmste Ort an dem ich je war, der einfachste, kleinste und verlassenste, aber ich habe mich wohl gefühlt. Und es war gut, dass ich nicht alleine hin gefahren bin. Nicht wegen der Sicherheit. Oder weil der Transport ein wenig aufwendig zu organisieren war. Oder weil es an freundlichen und herzlichen Menschen gemangelt hätte. Sondern eben, weil er so einsam, arm, klein, verlassen und anders war. Und obwohl es ja Abend-teuer heißt, war es billig. Das liegt wohl daran, dass dieser Ort nicht in meinem Lonely Planet für Südamerika stand. Den wirklichen Lonely Planet findet man ohne Lonely Planet.

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Ort der Woche: La Ciudad Perdida. Die Verlorene Stadt. Und ja, ich habe sie gefunden. Aber erst nachdem ich in 2,5 Tagen, 27 km durch Wälder, Felder, Flüsse und über Stock und Stein marschiert bin. Diese 5 Tages Wanderung (inklusive Rückweg) zu den Ruinen einer ehemaligen heiligen Stadt der Tayronas war mir von so vielen empfohlen worden, dass die Erwartungen recht hoch waren als es endlich losging. Da dieser Ort nur mit einer Tour und einem Guide zu erreichen ist, machte ich mich sonntags morgens also mit meiner Gruppe aus 2 Kolumbianern, 2 Franzosen, einem Aussi und einem Engländer auf den langen Weg. Vorbei an Dörfern, bzw. einzelnen Häusern der Stämme Cogi, Arsario und Arnaco, welche die Täler heute noch fast so bewohnen, was wir früher nennen. Langsam arbeiteten wir uns zum Ziel unserer Tour vor. Die Geschichte dieser Stadt, die einst Texuna hieß, gleicht der von all diesen antiken Stätten die man in Südamerika findet. Zwischen dem 11. und 16. Jahrhundert gebaut, wurde sie 300 Jahre als religiöse Stätte benutzt, 1600 aus Furcht vor den Spaniern verlassen, 1975 von Goldsuchern wiedergefunden, geplündert und teilweise zerstört. Seit 1991 wird sie nun von Touris wie mir bewundert. Touris, die 54 Kilometer durch schwüle, moskitoverseuchte Wälder klettern, um eine Moos bewachsene, verlassene und lange verlorene Ruine zu besuchen. Doch genau dieser Zauber den das Ganze hat, wird bald vielleicht vom ehemaligen kolumbianischen Präsidenten Alvaro Uribe und einigen geldgierigen Franzosen zerstört werden. Da Reiche keine Orte mögen, die man nicht mit einem Hubschrauber anfliegen oder mit einer Limousine anfahren kann, ist eine Seilbahn im Gespräch die quer durch das unberührte Paradies gebaut werden soll. Die Verlorene Stadt ist scheinbar ein gefundenes Fressen für Geldgierige. Nachdem Goldsucher erste Teile dieser wunderschönen, einsamen und verwunschenen Stätte zerstört haben, wollen Geldsucher nun auch noch die letzten Reste davon rauben. Was man nicht mit Geld nämlich nicht kaufen kann, ist das gute Gefühl das man hat, wenn man sich ihren schönen Anblick erarbeitet hat. Was man wahrscheinlich leider sehr wohl kaufen kann, ist die Zustimmung der indigenen Stämme, die das Einzige ist was fehlt, um die Verlorene Stadt für immer zu verlieren.

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Beobachtung der Woche: Mit Schokolade kann man sich ein Lächeln kaufen. Bei indigenen Stämmen gibt es neben Geld scheinbar auch noch eine andere Währung, die Süßigkeitenwährung. Ich investierte 1 Schokoriegel in eine ältere, mürrisch dreinblickende Frau in ihrer Tracht (die erhoffte Wirkung der Endorphine blieb aus), 3 Kaugummis und 1 Haargummi in drei kleine Kinder mit schmutzigen Gesichtern (die von meinen blonden Haaren fasziniert waren) und 3 Karamellbonbons in 3 weitere Kinder, um mir von ihnen ein Lächeln für ein Foto zu erkaufen. Für umsonst machen die nämlich gar nichts, beziehungsweise drehen sich weg oder laufen gar weg. Es scheint, als würde ein Foto ihnen ihre Würde nehmen und ich fühlte mich als würde ich mit Schokolade ihre Seelen kaufen. Ich hätte ihnen natürlich auch Geld geben können, aber wenn ich schon ihre Seelen in einen kleinen Apparat presse und mit mir in ein fernes Land nehme, dann will ich doch wenigstens versuchen es ihnen ein wenig schmackhafter zu machen. Mittlerweile sind sie es gewohnt, dass sich die Touris für sie interessieren und andauernd alles fotografieren wollen. Dabei können sie noch froh sein, dass die Japaner Südamerika noch nicht als Ausflugsziel entdeckt haben. Dann hätten ihre Dörfer zwar 24 Stunden (Blitz-)Licht, aber auch ein Problem mit Übergewicht. Es war eine seltsame Erfahrung Menschen gegen Bezahlung zu fotografieren, weil es einem das Gefühl von einem Zoo vermittelte. Ich half mir aber mit den Gedanken, dass ich die Menschen nicht einsperrte und auch mein Lächeln für Schokolade käuflich ist.

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Viech der Woche: Coral verdadera. Was soviel heißt wie “Echte Coral”. Nicht dass ich euch sonst angelogen und von falschen Viechern der Woche erzählt hätte, dies ist tatsächlich der Name dieser knallroten Schlange und es gibt tatsächlich auch eine “Falsche Coral”. Die Richtige ist jedenfalls ziemlich giftig und kroch am 4. Tag der Wanderung im Gebüsch in der Nähe unseres Frühstückstisches herum. Da wir die Nacht im Haus einer Arsario Familie mit 5 Kindern verbracht hatten, brachte der gerade ebenfalls anwesende Holzfäller das furchteinflößende Kriechtier vorsichtshalber um. Wenn der gute Mann Bäume fällt wie er diese Schlange tötet, hätten Umweltschützer eine wahre Freude an ihm. Circa eine Minute kloppte er mit einem Holzpflock auf ihrem Kopf herum, bis das Zucken des roten Riesenwurms endlich aufhörte. Ich zuckte zwar zuerst auch noch bei jedem Schlag zusammen, dann aber schlussendlich mit den Schultern: so ein Tier sehe ich neben dem Frühstückstier doch lieber tot, als lebendig.

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Investition der Woche: 250.000 für ein Chinchorro. Ein Chinchorro ist die schönste Hängematte die ich je sah und einer der Gründe, warum ich auch in die Provinz La Guajira reisen wollte. Dort werden diese wollenden Wunderwerke nämlich in zweimonatiger Handarbeit vom Volke der Wayuu hergestellt. In einem Bildband über Kolumbien hatte ich eines dieser Prachtstücke gesehen und mich sofort verliebt. Ich fragte circa 100 Leute auf meiner Suche nach einer ähnlich schönen hängenden Matte, ging von Haus zu Haus, von staubigen Hinterhöfen, bis in ärmliche Wohnzimmer, sah Webstühle, Exemplare in verschiedenen Formen und Farben und fand am Ende doch nicht genau das was ich suchte. Obwohl ich teilweise sogar von einer kleinen Horde Kinder durch Cabo de la Vela begleitet wurde, die mir helfen wollte, mein Chinchorro zu finden (ich bezahlte zur Abwechslung in Lollies). Am Ende fand ich ein anderes Modell als das, was ich abfotografiert hatte. Ich war aber doch so glücklich damit, dass ich es kaufte. Einen besseren Preis hätte ich nicht kriegen können, bestätigten mir unparteiische Quellen, eine Schönere auch nicht, meine Freundinnen. Dieses Shoppingerlebnis glich teilweise einer Schnitzeljagd die mir, ganz ohne Schokoladensteuer, Einblick in das Leben der Wayuu erlaubte. Es war mit Sicherheit die interessanteste Shoppingtour die ich je machte und ein Einkauf, der mich noch lange von meiner Reise durch Südamerika träumen lassen wird. In dieser Hängematte ist genug Platz für 5 Leute. Und ihre Träume.

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Rest der Woche: Die Woche begann mit dem komischen Gefühl wieder alleine zu sein. Für dieses blieb aber nicht lange Zeit, da ich noch sonntags morgens mit 6 Männern und einem Guide für 5 Tage in den Urwald zog. Dort schlief ich das erste Mal in meinem Leben eine ganze Nacht in einer Hängematte (und die restliche Woche bis auf 2 Nächte auch), entdeckte abgelegene Stämme und traditionelle Dörfer. Ich lernte über ihre Bräuche und Sitten und wie sie Geld und Liebe machen. Ich sammelte unvergessliche Eindrücke und unzählige Moskitostiche, entdeckte die Verlorene Stadt und einen wunderschönen Chinchorro. Ich hatte Glück mit dem Wetter und mit den 3 Mädels die ich traf, mit denen ich 4 Tage doch noch bis ans Ende Kolumbiens reisen konnte. Ich habe wieder so viel erlebt, dass ich gar nicht glauben kann, dass schon wieder eine Woche um ist. In der nächsten Woche werde ich Kolumbien nach fast einem Monat verlassen und nach Panama segeln. Leider das Ende Südamerikas, zum Glück der Anfang Mittelamerikas.      P1060598 P1060671         P1060869 P1060871

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