Erfahrung der Woche: Reisen in Kolumbien. Pünktlich zum Start der neuen Woche überquerte ich endlich die Grenze zu dem Land, auf das ich mich am meisten gefreut hatte. Und vor dem ich bei Antritt meiner Reise, neben Brasilien, am meisten Respekt, ja, beinahe Angst hatte. Schon in Deutschland wurde mir gesagt, die Kolumbianer seien freundlicher und hilfsbereiter als jedes andere südamerikanische Volk. Auch auf meiner Reise wurde dies dann von verschiedensten Seiten immer wieder bestätigt. Mit hohen Erwartungen gelangte ich also in das Land des Koks und Kaffees. Und es ging gleich mit dem vollen Programm an Erfahrungen los. Als ich das erste mal mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Busbahnhof fahren wollte, sprach mich ein in Zivil gekleideter, circa Mitte 30 jähriger Typ an und hielt mir eine ziemlich lächerlich wirkende Plastikkarte unter die Nase, die einen Polizeiausweis darstellen sollte. Wie lange ich schon im Land sei, was ich planen würde und ob ich Hilfe bräuchte. Kurz und knapp antwortete ich, argwöhnisch meinen Rucksack mit den Wertgegenständen umklammernd. Die Dame die neben mir auf den Bus wartete drehte sich ab und tat als sei sie unsichtbar. Ein zweiter Mann kam dazu, auf den die oben genannte Beschreibung ebenfalls zutraf. Er wurde mir als Kollege vorgestellt und er wollte meine Papiere sehen. Was tun? Trauen konnte ich den beiden Gestalten zweifellos nicht, also sagte ich nur, halb schroff halb höflich: “Nein!” Ob ich denn keine habe, wurde ich gefragt. Wieder ein “Nein” und ich müsse auch jetzt gehen, mein Bus käme. Obwohl der Bus mal wieder auf sich warten lies, reichte das offensichtlich und die beiden zogen davon, um irgendjemand anders zu finden mit dessen Papieren sie, weiß der Geier was, machen konnten. Ich spekulierte natürlich auf Drogenschmuggel, Entführung, Ablenkungsmanöver zwecks Diebstahl oder Ausweisfälscher und fühlt mich plötzlich gar nicht mehr so wohl alleine in Kolumbien. Aber die Erfahrungen sollten ja, wie bereits angekündigt, noch kein Ende nehmen. Als ich mir bei einem kurzen Stopp des Busses auf dem Weg von Pasto nach Popayán ein Wasser kaufen wollte, wurde mir eröffnet, dass ich gerade versuchen würde mit Falschgeld zu bezahlen. Auf einen zweiten Blick wurde mir dann auch klar, dass ich Geld in der Hand hielt, das allenfalls für ein unterhaltsames Monopoly Spiel dienlich gewesen wäre. Zum Glück handelte es sich hierbei nur um zwei 2000 Peso Noten, umgerechnet zwei Euro, die wohl nicht einmal Papier und Aufwand wert waren und die ich nachher geschickt einem Taxifahrer unterjubelte (wie ihr mir, so ich euch, ihr hinterhältigen kolumbianischen Mafiosos!). Und da scheinbar auch aller schlechten Dinge 3 sind, folgte 3 Tage späte eine weitere unschöne Erfahrung. Ich wurde beklaut. Und zwar, wie eigentlich von warnenden Kolumbianern prophezeit, in meinem ersten Nachtbus den ich in diesem hinterhältigen Land nahm. Aus Sicherheitsgründen solle man hier nämlich nur tagsüber reisen und wenn nachts, dann bloß auf Hab und Gut aufpassen, es würde sonst geklaut. Doch wer hätte gedacht, dass auch mein pinker chilenischer Lieblingspulli Objekt der Begierde kolumbianischer Krimineller sei? Sorglos hatte ich ihn in die Ablage über meinem Sitz gelegt. Blitzschnell, nach nur einer Stunde Fahrt, hatte man ihn mir entwendet. Ich muss schon einen unnachahmlich guten Style haben, dass man mir andauernd meine Kleidung stiehlt. Oder ich rieche so verlockend, dass die Leute auf Patrick Süßkind ähnliche Gedanken kommen und sich wie in “Das Parfüm” einen Duft daraus machen. Ein Weltenbummler Parfüm vielleicht. Obwohl ich sehr traurig war über den Verlust, war das was dann passierte doch etwas übertrieben. Nachdem ich den Busfahrer um Licht gebeten hatte um besser suchen zu können, hatte er nach meinem Misserfolg die Polizei verständigt die am nächsten Zwischenstopp auf uns wartete. Überrumpelt folgte ich dem bis unter die Zähne bewaffneten Beamten, durch den Gang des Busses und schaute in alle von ihm geöffneten Taschen der Passagiere und Nischen des Busses. Wir fanden den Pulli nicht. Dass er 12 € gekostet hatte und sich in seinen Taschen weder eine Kreditkarte oder Kamera befunden hatte erwähnte ich lieber auch nicht. Nicht erwähnen muss ich zum Glück eine weitere schlechte Erfahrung in Kolumbien. Auf jeden Fall erwähnen will ich aber, dass ich Land und Leute trotz all dieser Geschichten von Anfang an liebte. Atemberaubende Landschaften, größtenteils hilfsbreite und freundliche Menschen und haufenweise gute Erfahrungen, ließen mich schnell die 3 schlechten Erfahrungen vergessen.
Ort der Woche: Salto de Bordones, Departamento Huila, Colombia. Es handelt sich hierbei, wie jeder der Spanischen Sprache Mächtige ahnen könnte, um einen Wasserfall. “Salto” bedeutet “Sprung” und an diesem Ort der Woche, unweit des Dörfchens San Augustín, hechtet der größte Fluss Kolumbiens, der Rio Magdalena, sein größtes Sprungbrett hinunter. Mit andern Worte, es ist der größte Wasserfalls Kolumbiens und nach den Angel Falls in Venezuela und dem Foz de Iguazú in Argentinien/Brasilien, der Dritthöchste Südamerikas. Ich muss gestehen, neben den Iguazú Fällen wirkt er wie ein Strahl aus einem Wasserhahn, traumhaft schön ist er trotzdem. Ein Schweizer mit dem ich am Aussichtspunkt stand beschwerte sich, dass man die ganze Schönheit nie auf einem Foto zu packen bekommt. Das macht das Reisen ja auch so besonders. Geräusche, Gerüche, Geschmäcker und Gefühle lassen sich schließlich auch nicht fotografieren. Ein Foto füge ich trotzdem bei, schön ist es nämlich trotzdem.
Beobachtung der Woche: Sicher ist nicht sicher. Ich war mir eigentlich immer sicher, dass sicher mit Sicherheit für jeden das Gleiche bedeutet. Jetzt bin ich sicher, dass dem sicherlich nicht so ist. Nach meiner Ankunft in Kolumbien versuchte ich in zahlreichen Gesprächen mit Einheimischen herauszufinden, in welche Teile des Landes ich sorgenfrei reisen kann und wie die politische Situation wirklich ist (die Seite des Auswärtigen Amtes, die ich zu diesem Zwecke das erste Mal studiert hatte, dient allenfalls dazu einem die Laune zu verderben). Ich war erstaunt, wie viele verschiedene Meinungen ich hörte. Der Busfahrer, der mich von Pasto nach Popyán brachte riet, auf keinen Fall nach Tierradentro im Staate Huila zu fahren, da sich dort die Guerilla aufhielte. San Augustín hingegen sei zwar in der Nähe, aber völlig sicher. Der nächste Busfahrer, der mich nach San Augustín brachte, eröffnete mir bei der Ankunft dort, ich sei gerade über die gefährlichste Straße Kolumbiens gefahren. Ein Kolumbianer erzählte mir, er wohne nicht mehr in Pasto (wo ich meine erste Nacht in Kolumbien verbracht hatte), weil es dort zu unsicher sei – vor 10 Jahren sei sein Bruder dort von den Guerillas erschossen worden. Die meisten erzählten mir aber, die Situation sei weitestgehend stabil und wenn ich nicht gerade allein in den Dschungel reisen würde, wo sich die Reste der FARC und ELN (die beiden verbleibenden Guerilla Truppen Kolumbiens) hinverkrochen haben, sei das Reisen in Kolumbien heutzutage eigentlich sicher. Mir ist das erste Mal bewusst geworden, dass dieses Allein-Reisen, besonders durch solch ein Land, nicht gerade ein Mallorca Urlaub ist. Ja, ich habe zweimal sogar richtig Angst bekommen. Das erste Mal als in das Taxi, das mich über die Grenze von Ecuador nach Kolumbien bringen sollte, plötzlich vorne ein zweiter Mann einstieg (im Lonely Planet steht, das solle man niemals zulassen und sofort das Taxi verlassen, sobald das passiert. Ich fragte mich nur, wie ich das bei voller Fahrt anstellen sollte. Außerdem war mein großer Backpack im Kofferraum). Auf meine Frage wer der Typ sei, antwortet der Fahrer, es sei ein Kumpel und ich solle ja wohl mal locker bleiben. Bei 80km/h und keinem Haus weit und breit, blieb mir auch nichts anderes übrig, aber ich dachte, dass mich kein Mensch jemals suchen könnte, da ja nicht einmal meine Eltern wussten, wo genau ich gerade war. Zum Glück ging alles gut und es war wirklich nur ein Freund des Taxifahrers. Man braucht wohl, neben jeder Vorsicht dennoch immer einen Schutzengel, der einen vor schlechtem Timing oder bösen Absichten bewahrt. Das zweite Mal wo ich – durch die Unentschlossenheit der Einheimischen über die Sicherheitlage ein bisschen paranoid geworden – fast einen Herzinfarkt bekam, war, als der Bus auf einer Landstraße irgendwo zwischen den Staaten Putumayo (vom Auswärtigen Amt und den Kolumbianern als Zona Roja, rote Zone, betitelt) und Huila von Soldaten angehalten wurde. Ich war sicher, dass es sich um Guerilla handelte, die das Geld der Mitreisenden und mich als Geisel wollten (auf Angie will ich mich ungern verlassen, da sie gerade mal wieder mit der Rettung anderer Hintern beschäftigt ist). Später fand ich dann aber heraus, dass es sich dabei um Soldaten Santos (dem Präsidenten) gehandelt hatte, die zur Sicherheit diese Straßen patrouillierten. Zum Glück befinde ich mich jetzt nicht in den Händen der Guerilla, sondern in denen eines kolumbianischen Freundes und meine einzige Sorge ist, dass ich von seiner liebevollen Fürsorge nicht genug bekommen kann. Jegliche Sorgen sind verflogen, ich fühle mich sicher. Und das mit absoluter Sicherheit.
Viech der Woche: El Doble Yo. Eines der komischsten Viecher die ich bisher gesehen habe. Es ist circa 2 Meter hoch, schwer wie Granit, eine Mischung aus Mensch und Tier und ein echtes Urzeitwesen. Es wurde irgendwann zwischen 100 vor Christus und 1400 nach Christus geboren und über seine Schöpfer ist nicht viel bekannt, nicht einmal sein Name. Es handelt sich hierbei um eine der zahlreichen Steinfiguren, die im Departamento Huila gefunden wurden und die erst seit 1995 zum UNESCO Kulturerbe gehören. Der Doble Yo (das doppelte Ich) gehört zu einem der seltsamsten Kreaturen unter den Steinfiguren mit ihren Fratzen und Reißzähnen, denn er hat zwei Köpfe (besonders clever blickt er trotzdem nicht drein). Der tiefe grüne Wald voller rätselhafter, bis zu 7 Meter großen Stein-Nichtlebewesen erfüllten jedenfalls genau das Bild, das ich von Kolumbien und der Kultur in Südamerika gehabt hatte. Spannende mystische Welten, fremd von allem was es in Europa gibt, eine Mischung aus Indiana Jones und “Tim & Struppi und der Sonnentempel“.
Investition der Woche: 40.000 Kolumbianische Pesos für ein Lamm. Genau genommen war es nur der Schenkel eines Lamms und es hat mich mehr gekostet als jedes Essen bisher, war sein Koch doch prämiert und in der heimischen Zeitung hochgelobt worden. Als Backpacker geht man nicht in solche Restaurants. Als Teil einer Gruppe schon. Mein kolumbianischer Freund Carlos bei dem ich gerade wohne, nahm mich mit nach Villa de Leyva, einem magischen kleinen Kolonialdörfchen das wir am Wochenende mit zweien seiner Freunde besuchten. Da wird eben gegessen was auf den Tisch kommt. Es war so lecker wie es teuer war und die gemeinsame Liebe zum Essen, die ich mit Carlos teile, wird meinen Geldbeutel schänden. Jeden Tag nimmt er mich mit zu anderen einheimischen Orten, um landestypische Spezialitäten wie Bandeja Pisa (Fleisch mit Fleisch in den verschiedensten Variationen), Ajiaco (eine Art Hühnerfrikasse), Arepa (Maisküchlein), Lulo, Granadilla, Feijoas, Chontaduros (Früchte), Queso Bocadillo oder Chocolate santafereño (Käse mit heißer Schokolade, ein absoluter Hit) zu probieren. Ich sage ja immer, Leute und Essen sind der wahre Grund meiner Reise. Dementsprechend bin ich gerade im Paradies.
Rest der Woche: Die Woche begann mit 3 Tagen des Busreisens. Von Quito nach Pasto ging es in einer 8 stündigen Busfahrt über die Grenze nach Kolumbien. Am nächsten Tag in 7 Stunden nach Popayán und in weiteren 5 Stunden am folgenden Tag nach San Augustín. Ich genoss die Stunden im Bus indem ich aus dem Fenster starrte und die atemberaubende Landschaft in mich aufsog und mich mit den sehr an mir und meiner Reise interessierten Kolumbianern im Bus unterhielt. Die 2 Tage in San Augustín verbrachte ich größtenteils mit den steinernen Urzeitmonstern, schoss Fotos von Bananen-, Kaffe- und Zuckerrohrplantagen die das südliche Kolumbianerland bewachsen und den Einwohnern die darin meist das Leben des Bauern fristen. Ich schlief in einem Zimmer mit Käfern und Kakerlaken, ergatterte ein köstliches Rezept für Zuckerrohplätzchen names “Cuca”, ließ mich beklauen, belehren und bereichern. Samstagmorgen kam ich in Bogotá an, wo ich mit einem frischen O-Saft und einer herzlichen Umarmung in Empfang genommen wurde und verbrachte ein herrliches Wochenende in netter Gesellschaft (die sich gut anfühlte, nach 5 Tagen des alleine Reisens). Eine aufregende erste Woche in Kolumbien. Obwohl mir insgesamt nur noch 87 Tage bleiben, glaube ich, in diesem Land werde ich länger bleiben.