Erfahrung der Woche: Ich war auf meiner ersten Demo. Keine Sorge, ich reise zwar durch politisch nach wie vor mal mehr, mal viel mehr instabile Länder, aber diese meine erste Demo war friedlich. Ich lief mit einer Kerze in der Hand, in einem gelben Amnesty International Leibchen und einer dicken Canon EOS 500D um den Hals durch die Straßen Santiagos und begleitete meinen Couchsurfer Andrea (ein Italiener, daher der komische Name) bei seiner Arbeit. Es ging um die Gewalt gegen Frauen. Und die Einstellung gegenüber Frauen ist hierzulande einfach nach wie vor miserabel (siehe Beobachtung der Woche)! Die Fotos die ich für meinen Kumpel schoss, waren alle fröhlicher Natur und ich fragte mich, als ich selbst auf einem war, wie man auf so einem Foto eigentlich gucken muss. Lachen fühlte sich irgendwie falsch an, aber nachdem ich dazu aufgefordert wurde tat ich es trotzdem. Die ganze Demo war ohnehin eine recht ausgelassene Veranstaltung auf der gesungen, getrommelt und getanzt wurde. Das Ende des Lieds war ein kurzer Aufenthalt vor dem Gebäude “La Moneda” in dem am 11.September 1973 Präsident Salvador Allende beim Putsch durch Pinochet getötet wurde. Damals wäre ich hier nicht auf die Straße gegangen, da war es sowieso auch verboten. Schon komisch, dass ich mit meinen 25 Jahren in meinem eigenen Land noch nie auf einer Demo war. Es gibt eigentlich genug wogegen man protestieren könnte. Allerdings sind die politischen Probleme bei uns auch nicht so gravierend wie die hier. Und auf die Schanze gehe ich lieber zum Bier trinken als zum Steine werfen. Ich habe wieder viel gelernt in den letzten Tagen, ich war im Büro von Amnesty International Chile (das ziemlich winzig ist), im Museum für Menschenrechte (toll!) und mit vielen bewundernswerten Menschen zusammen, die alle für eine bessere Welt kämpfen. Ob ich auf weitere Demos gehe wird sich zeigen, ich werde jedenfalls auch anfangen etwas zu tun. Ich habe viel nachgedacht über die Probleme der Gesellschaft und mich ständig gefragt, warum Menschen sich gegenseitig so etwas antun. Um diese Dinge zu verstehen bin ich hier. Ich will aus der Seifenblase raus in der wir leben. Und ich werde versuchen euch mitzunehmen.
Ort der Woche: Casa “La Chascona”, Bellavista, Santiago. Es handelt sich hierbei um das Haus, das der Schriftsteller und Poet Pablo Neruda für seine heimliche Geliebte bauen ließ. Und obwohl ich fremdgehende Männer natürlich alles andere als gut heißen kann muss ich gestehen, dass ich mich in diesen, alles andere als gutaussehenden, etwas übergewichtigen Mann verliebt habe. Dieses Haus, in dem er später nach Entlüftung des Geheimnisses auch selbst mit seinem neuen Mädchen wohnte, hatte einen solchen Charme, dass ich mich selbst am liebsten gleich hingesetzt hätte, um ein ganzes Buch. Oder zumindest ein kleines Gedicht. Genau so würde mein Haus aussehen, wenn ich es mir leisten könnte den ganzen Tag zu schreiben, bzw. soviel Geld in Inneneinrichtung und Hausbau zu stecken. Es liegt nicht daran, dass es zwei eigene Bars besitzt (das wäre zu naheliegend), oder ein echter Diego Rivera seiner Geliebten an der Wand hängt, es ist eher die Person und seine Denke, die mich so begeisterte. In seiner Bibliothek hing zum Beispiel ein Bild von einer Frau, die wie Neruda sagte, der hässlichste Mensch der Welt sei. Immer wenn er von seinem Buch aufschaute, sah er das Bild und vertiefte sich doch lieber wieder schnell in sein Buch (vielleicht könnte man durch diese Methode auch die Jugend von heute wieder zum Lesen bringen). Alles was ich bis jetzt von ihm lesen konnte war “El libro de las praguntas” (das Buch der Fragen), das im überteuerten Souvenirshop herumlag. Allein diese wenigen Fragen die ich darin las, waren für mich Antwort genug, warum der Herr einst den Literatur Nobelpreis gewann. Mich hat er jedenfalls total inspiriert. Ich glaube ich werde auch Schriftsteller. Die können ihren bekloppten Gedanken freien Lauf lassen (und werden auch noch dafür gefeiert), sind mit Leuten wie Diego Rivera befreundet und können den ganzen Tag in ihrer eigenen Bar rumhängen und Drinks schlürfen. Ich bin der festen Überzeugung da läuft der Stift fast von alleine über das Papier und hinterlässt eine Spur klangvoller Worte für die Ewigkeit. Wartet nur ab, eines Tages wird man diese Worte hier als den Anfang meiner literarischen Karriere feiern. Ihr, als meine treuen Begleiter dieser ersten Schritte seid jetzt schon mal herzlich eingeladen, mich in meinem Haus am Strand zu besuchen, um mit mir einen Drink zu nehmen und euch weiterhin meine komischen Geschichten anzuhören.
Beobachtung der Woche: Männer! Pfeifen, hupen, glotzen und grölen ist nicht gerade etwas was einer Frau schmeichelt! Das machen in Deutschland nur fette Bauarbeiter. In Chile, schlimmer denn sonst wo bisher, beinahe alle Männer. Ich fühle mich wie ein Tier im Zoo, nur dass mich keine Gitterstäbe von den Herren der chilenischen Schöpfung trennen. Aber die brauche ich auch nicht, die Kerle sind nämlich nicht gefährlich, sondern einfach nur lächerlich. Jedem deutschen (bzw. blonden und weißen ) Mädchen mit Minderwertigkeitskomplexen kann ich also eine Reise ins schöne Chile empfehlen, um sich mal ordentlich ihr Ego aufpolieren zu lassen (hach, beim Reisen kommen einem doch die besten Geschäftsideen). Jedenfalls gut, dass ich, wie meine Eltern vielleicht bestätigen können, früh lernte meine Ohren auf Durchzug zu stellen. So kann ich den ständigen Geräuschpegel ziemlich leicht ignorieren.
Viech der Woche: Eine Tarantel. Und ich sitze hier, triumphierend und grinsend während ich das schreibe, da ich euch wie versprochen endlich ein wirkliches Viech präsentieren kann. Einen ganz anderen, leider unbeschreiblichen Gesichtsausdruck hatte ich allerdings als ich das fleischige Ding auf dem Weg vor mir sah. Ich war mit einer Finnin auf den Cerro San Cristobál gestiegen, um mich bei Sonnenuntergang von Santiago zu verabschieden. Auf dem Rückweg über den staubigen, von warmen Abendsonnenlicht durchfluteten Weg dachte ich dann plötzlich ich Spinne! Aber nicht ich spinne, sondern tatsächlich eine Vogelspinne! Da saß dieses Tier, dass ich sonst nur aus dem Zoo kannte, einfach so in freier Natur da. Nachdem wir gerade noch voller Eifer über die Schönheit des Reisens philosophiert hatten, zeigte das fleischige Ding uns kurz mal einen sowohl haarigen, als auch haarsträubenden “Nachteil” auf. Und obwohl ich genug Zeit hatte das Viech auf meiner Kamera zu verewigen, konnte keine Rede davon sein, dass ich es in Ruhe tat. Die ist hiermit auch in dieser Rubrik vorbei. Ich halte euch auf dem Laufenden. Beziehungsweise dem Kreuchenden und Fleuchenden.
Investition der Woche: 9000 Chilenos (13 Euro) für ein Hostelzimmer. Nach 17 Nächten habe ich mal wieder Geld für eine Unterkunft ausgegeben. Das lag aber nur daran, dass ich erst kurzfristig die Couch bei Alejandro in Valparaiso zugesagt bekam und wir uns online nicht mehr rechtzeitig verabreden konnten. Also war ich das erste Mal während meiner Alleinereiserei lost. Die Touristinformation am Busbahnhof war geschlossen, kein Mensch hatte einen Stadtplan und so musste ich mich zum Hostel meiner Lonely Planet-Wahl durchfragen. Der Metzger empfahl mir einen Bus zu nehmen, da Laufen zu gefährlich sei. Wunderbar. Die alte Frau im Bus schnauzte mich an, weil ich ihr mit meinem riesigen Rucksack nicht wendig genug war, sondern unbeweglich wie ein Käfer auf dem Rücken. Ich war zwischen ihr und meinem Sitz steckengeblieben. Die Frau im Restaurant teilte mir mit, dass der Lift, der mir den steilen Aufstieg auf den Berg auf dem mein Hostel lag, kaputt sei. Prächtig. Das erste Hostel das ich ausgesucht hatte war geschlossen, das zweite zu teuer, das dritte war voll, das vierte auch und das fünfte hatte schließlich ein Bett für mich. Völlig fertig kam ich also in Valparaíso an. Der erste Eindruck der Stadt war furchtbar. Abends traf ich dann Alejandro auf ein Bier, am nächsten Tag zog ich bei ihm ein und ließ mir von ihm die wirkliche Seite von Valpo zeigen. Und jetzt liebe ich diesen Ort. Die Stadt liegt quasi komplett auf einem Berghang, der zum Meer hin abfällt. Beinahe alle Häuser sind bunt angestrichen und die, die es nicht sind, sind mit künstlerischen Graffittis bemalt. Es ist eben nicht nur das Geld das man sich beim Couchsurfen spart, sondern auch der erste, gegebenenfalls schlechte Eindruck einer Stadt. Aber die Investition einer Nacht im Hostelzimmer und der Schweiß waren es wert, ich habe einen weiteren wundervollen Ort entdeckt.
Rest der Woche: Nachdem so manch einer den Verdacht hatte ich würde Mendoza niemals mehr verlassen, habe ich es schweren Herzen doch getan. Nach einer 8,5 – stündigen, atemberaubenden Busfahrt durch die Anden kam ich in Santiago de Chile an. Ich blieb wieder einmal länger als geplant. Ich verbrachte meine 4 Tage damit zu Fuß die riesige Stadt zu erkunden, die mir auf Anhieb gefiel. Ich sah mir die quirligen Markthallen an (gleich zwei Mal), das Museum für Menschenrechte, hatte ein Asado (BBQ) auf dem Dach des Hochhauses in dem wir wohnten (das ganz nebenbei bemerkt außerdem auch einen Swimmingpool mit der gleichen unfassbaren Aussicht aufweisen konnte), ging auf ein Lifekonzert mit Cumbia (kolumbianische Musik, die jeden im Saal zum Freudentanzen brachte) und eben auch Pablo Nerudas Haus und den Vogelspinnenberg. Nachdem ich wirklich alles gesehen hatte ging es nach Valparaíso, wo ich nun schon wieder eine Nacht länger bin, als ich eigentlich geplant hatte. So langsam muss ich etwas auf meine Zeit achten, da ich am 7. oder 8. Dezember in Arequipa anfangen will in einem Waisenhaus zu arbeiten. Dort habe ich einen Platz als Volunteer zugesagt bekommen. Auf in das nächste Abenteuer. Und auf in die nächste Woche.
Categories: Chile