Erfahrung der Woche: Ich habe die Grenzen meiner Körperkräfte erahnt. Und ich habe dafür auch noch viel Geld bezahlt. Ich habe sowieso das Gefühl, dass es immer üblicher wird das man für solcherlei Erfahrungen einen Haufen Geld bezahlen muss. In Australien war es das Fallschirmspringen, in Neuseeland die 9-stündige Wanderung auf den Vulkan Mount Doom und in Perú war es also der Inka Trail. Man kann ihn wohl als eine Art Pilgerweg bezeichnen, der 43 km lang über extreme Höhen führt und einen zum Machu Picchu und an seine eigenen Grenzen bringt. Man bezahlt für 4 Tage die man sich durch Regen und Wolken quält (wenn der Perú Besuch in die Regenzeit fällt) satte 480 US$. Das beinhaltet zwar unglaublich leckeres Essen, die Unterkunft im 2er Zelt und den Eintritt zum Machu Picchu, nicht aber die Garantie auf gutes Wetter, jemanden der einem das Gepäck trägt oder die Waden massiert. Es war meine härteste Wanderung bisher und trotzdem waren Hanna und ich als Hockeyspielerinnen fitter als die anderen, sogar als die Jungs. Am zweiten, härtesten Tag war ich 15 Minuten eher im Camp als alle anderen, am vierten, dem Machu Picchu Tag, waren wir die einzigen Mädchen die auch noch alle möglichen Extra-Wanderungen unternahmen. Wir waren müde (und genau nach dieser extremen Müdigkeit habe ich gesucht), aber wir hätten noch weiter laufen können. Beängstigend wurde es, als wir am nächsten Tag nicht einmal Muskelkater hatten (vielleicht waren unsere Körper müde von jeglichen Katern…) Es war eine gute Erfahrung, sich dieses Weltwunder Machu Picchu selber zu erarbeiten und zu verdienen. Denn das machte den Anblick noch wertvoller, als er sowieso schon war.
Ort der Woche: Wayna Picchu. “Was für ein gravierender Rechtschreibfehler” mag man denken, denn dass eines der 7 Weltwunder Machu Picchu heißt, sollte ja grade ich als Perú Reisende wissen. Es handelt sich hierbei allerdings nicht um den Fehlerteufel, sondern um den Berg den man vom berühmten Machu Picchu Foto kennt. Es ist der große grüne Felsen, der sich hinter den bekannten Ruinen der alten Inka Stadt erhebt. Machu Picchu heißt “Alter Berg”, was Wayna Picchu heißt weiß ich nicht, aber ich schätze es bedeutet “Nichts-für-Alte-Berg” oder ähnliches. Die Erfahrung dieses steile Stück des Inka Schatzes zu besteigen, dürfen täglich nur 400 Besucher machen. Da muss man also schon etwas früher aufstehen (zu früh war es offensichtlich für unseren eigenen Guide, aber dazu bei der Beobachtung der Woche mehr). Um 3.30 klingelte der Wecker, um 4.15 ging das große Wettrennen mit den anderen Gringos los und um 5.45 standen wir, kurz bevor der erste Bus (den die faulen Touristen nehmen können) ankam vor den Toren zu der antiken Ruinenwelt und bekamen zur Belohnung tatsächlich den heiß begehrten Stempel, der uns den Eintritt zum Höhepunkt vom Machu Picchu erlauben würde. Fast wäre es dazu allerdings nicht mehr gekommen da wir, von außen vom Regen durchnässt, von innen im eigenen Schweiße von der Hetzjagd den steilen Berg hinauf gebadet, so derartig durchgefroren waren, dass wir kaum noch den Infos des Tourguides folgen konnten, die ähnlich wie der andauernde Regen auf uns einprasselten. Die Wolken versperrten sowieso den Blick auf ein Gesamtbild der Wunderwerkes und so konnte uns nur noch eine heiße Schokolade und die Erinnerung an die auf uns genommenen Qualen dazu bringen, letztendlich doch auch noch Wayna Picchu zu bezwingen. Und er sollte zum Ort der Woche und des ganzen 4 tätigen Inka Trails werden. Der Aufstieg war hart und steil, es musste richtiggehend geklettert und gekrochen werden und 3 Treppenstufen waren teilweise so groß wie ich mit meinen 1,77 Metern (da fragt man sich wie die Inkas, die im Durchschnitt 1,50m waren, das wohl bewältigt haben), aber als wir endlich den Gipfel erreicht hatten, wurden wir doch tatsächlich für die 4 Tage Plackerei belohnt: Die Wolken taten sich auf und boten uns den heiß begehrten, hart erkämpften Anblick auf das Weltkulturerbe. Man war quasi mitten drin, in dem Postkartenbild. Wenn eine dieser oft leeren Floskeln des Alltaggebrauches stimmen, dann ist es diese: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Bis zum letzten Moment hatten wir gehofft der ständige Regen (der zur Regenzeit ja nun mal leider auch selbstverständlich ist) würde einmal Einhalt gebieten. Das Timing hätte nicht besser sein können, denn zu den 2 Stunden ohne Regen, befanden wir uns auf dem Ort der Woche. Und das machte den Anblick noch wertvoller, als er sowieso schon war.
Beobachtung der Woche: Das Sprechen der Landessprache öffnet einem ganz andere Tore. Sogar die verschlossene Tür vom letzten, dem wichtigsten Stück des Inka Trails. Nachdem wir also 3 Tage lang, 43 Kilometer über nassen Stock und steilsten Stein zurückgelegt hatten, standen wir, wie oben erwähnt, in aller Herrgottsfrühe am Einlasstor am Fuße des Berges zum Machu Picchu. 50 Minuten und eines beinahe 90 Grad steilen Aufstieges entfernt vom Eintritt und Stempel zum eigentlichen Gelände. Wir waren schon nass und etwas spät, weil die Tourguides das (Sehr-)Frühstück nicht rechtzeitig organisiert hatten. Als uns nun der Wärter nach den Eintrittstickets fragte und unser verschlafener Guide antwortete er habe sie nicht, blieb uns fast das aufgeregte Herz stehen. Immer mehr Leute passierten uns und begannen das Wettrennen um die 400 Stempel zum Wayna Picchu. Alle beeilten sich, nur unser Tourguide brachte nichts außer “Bitte, machen Sie doch eine Ausnahme” hervor. Keiner aus der tapferen Gruppe von 6 Leuten (die anderen 8 fuhren Bus) konnte Spanisch und so konnte nur ich beinahe wahnsinnig werden, von dem nutzlosen Gerede unseres ebenfalls nutzlosen Führers. Zum Glück mischte ich mich ein, versuchte es erst auf die mitleidige Tour, wir seien alle aus England, Deutschland und Dänemark angereist, nur um Wayna Picchu zu besteigen, dann nur noch flehend, was wir denn bloß machen könnten. Zuerst hieß es wir könnten einen Reisepass als Pfand da lassen, aber wer macht das schon in Südamerika? So sehr ich Perú auch mag, auf einen längeren Zwangsaufenthalt konnte ich getrost verzichten. 5 Minuten frustrierten Wartens später versuchte ich es erneut, diesmal bei dem anderen der beiden Wärter. Dieser erklärte mir plötzlich, auch ein Studentenausweis würde den Dienst tun. Also legten wir einen Führerschein als Pfand zurück und den steilen Berg in 30 statt 50 Minuten. Wie besessen kletterten wir, mit nur einer Pause von 20 Sekunden, an allen vorbei die uns zuvor am Tor überholt hatten. Das Sprechen der Landessprache ermöglicht einem eben nicht nur den Kontakt und das Kennenlernen der Einheimischen, sondern auch Berge zu beklettern, oder manchmal sogar zu versetzten.
Viech der Woche: Der Chaski. Ein Chaski ist Mensch nicht Tier, aber doch so unmenschlich, dass er diese Woche als Viech der Woche gelten darf. Es ist nicht abwertend sondern bewundernd gemeint, denn ich habe 4 Tage über die Kraft der Chaskis gestaunt. Es handelt sich hierbei um peruanische Männer mit Waden aus Stahl, die als Träger für die schwächlichen Gringos gebucht werden können und die 4 Tage lange außerdem Küchenequipment, Zelte, Stühle, Tische, Essen und alles was noch so benötigt wird, bergauf und bergab schleppen. Das ist an sich schon bewundernswert, überlegt man sich, wie man schon unter seinem eigenen Körpergewicht leidet (und nein, man ist nicht einmal dick). Aber dazu kommt noch, dass die Chaskis (dies bedeutet übrigens “Freund”) der Gruppe immer einige viele Schritte voraus sein müssen damit sie, nachdem sie den selben Weg zurückgelegt haben, auch noch die Zelte aufbauen und das Essen kochen können. Wir verließen das Camp vor den Chaskis und kamen nach ihnen an. Irgendwann sah man dann eine Bergkette von Rücksäcken an einem vorbeihuschen, unter ihnen lugten goldbraune Stahlwaden hervor und meist schlammbedeckte Füße, die in Sandalen aus Autoreifen steckten. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass sie den Weg entlang hoppelten wie die Hasen. Wir jedenfalls krochen wie die Schnecken. Der Rekord für den Inka Trail liegt bei 3 Stunden 40. Es muss ein Chaski ohne Gepäck gewesen sein der den Trail, in der für mich unglaubwürdigen, Zeit zurück gelegt hat. Anders kann ich mir diesen Rekord nicht erklären. Diese Zeit würde so manch einer nicht einmal bei einem Marathon schaffen. Diese Zeit ist unmenschlich. Genauso wie der Beruf des Chaskis. Für die 4 Tage Plackerei verdient ein Träger-Koch-Tellerwäscher 170 Soles (ca. 43€) und das Trinkgeld der Gringos. Ich habe sie mehr bemitleidet als damals die armen Bolivianer in den Minen von Potosí. Ich hätte weder kochen, Zelte auf- und abbauen, geschweige denn mehr tragen können, als ich mich auf dem Inka Trail befand. Ich habe teilweise ernsthaft überlegt, ob ich anfangen soll die Inkas zu hassen. Es ist eine Art Hassliebe entstanden, denn nun interessiere ich mich noch mehr für ihre Kultur. Ich würde zum Beispiel gerne wissen, warum zum Teufel sie solche Masochisten waren!
Investition der Woche: Diesmal muss es heißen: Nicht-Investition der Woche. Ich habe mir nämlich 40 US$ gespart. Die hätte ich dem Chaski bezahlen müssen, um 6 Kilo meines Gepäcks für mich zu tragen. Zuerst war ich froh, dass ich den armen Kerlen nicht noch mehr aufgeladen hatte, am zweiten Tag schlug dieses Gefühl in tiefstes Bereuen um. Ich begann mich zu fragen wieso ich gedacht hatte es könnte erstrebenswert sein, seinen eigenen Schlafsack, Matratze, Wasser und Kleidung für 4 Tage zu transportieren. Die Idee sich “selbst zu versorgen” kam mir plötzlich ähnlich dumm vor, wie ein Aufenthalt im RTL Dschungel Camp, in das ich mich teilweise hineinversetzt fühlte. Nur das essen glitschiger Tiere blieb mir erspart, ansonsten wäre so eine Live Doku meines Leidens auf dem Inka Trails sicher recht interessant gewesen. Die wunderschönen Fotos die ich in den 4 Tagen schoss, gaukeln eine lächelnde Lena vor, die innerlich zutiefst bereute, zu geizig für einen Porter gewesen zu sein.
Rest der Woche: Hauptbestandteil dieser Woche war also der von mir so lange herbeigesehnte Inka Trail. Die Tage vor und nach diesem verbrachten wir an seinem Ausgangspunkt, in Cusco. Wir genossen es einige Tage am selben Ort zu verbringen und feierten dies ausgiebig in den vielen Bars der Partystadt. Wir fanden neue Freunde und alte Bekannte und, dass es mal wieder eine ausgezeichnete Woche gewesen war. Unglaublich, dass meine perfekte Reisebegleitung Hanna nun schon ihre letzte Woche hier verbringt. Nun beginnt also wieder ein neuer Abschnitt meiner Reise. Und ich stelle erschrocken fest: Es ist auch für mich schon Halbzeit angesagt.
Categories: Perú