Erfahrung der Woche: Ich habe einem Mädchen ihren größten Wunsch erfüllt. Erst wollte ich mit dem Fragebogen, auf dem ich nach Wünschen und Vorlieben jedes Kindes fragte, nur Inspiration für die Motive ihrer T-Shirts finden, die sie zu Weihnachten bekommen sollten. Doch als ich dann den Wunsch von Flor (10 Jahre alt) las, einmal das Meer sehen zu wollen, hatte ich plötzlich einen eigenen, neuen Wunsch: es zu ermöglichen. Denn so weit weg ist das Meer von Arequipa gar nicht. Mit der Hilfe einiger Spenden von Freunden und der Mitarbeit meiner Volunteer-Mitstreiter, konnten diese Träume dann letzte Woche tatsächlich wahr werden. Um 4 Uhr morgens verließen 16 Kinder, 7 Volunteers und 3 Waisenhaus-Mitarbeiter Arequipa in 3 Autos (mit 14 Sitzen). An Schlafen war nicht einmal zu denken, schon der Halt bei der Tankstelle war ein absolutes Abenteuer für die Kinder, schon die Fahrt ein absoluter Alptraum für die Volunteers, da sich viele der Babys die ganze Fahrt übergaben. Mir schliefen höchstens die Beine ein, auf denen immer mindestens 2 hopsende Kinder Platz nahmen. 2,5 aufregende Stunden später kamen wir dann im Strandort Mollendo an und bezogen für eine Nacht das uns zur Verfügung gestellte Haus. Es hatte 8 Betten (nur der Dramaturgie wegen erinnere ich daran, dass die Zahl der Reisenden 26 betrug) und eine Toilette die nicht funktionierte, weil es 0 Wasser gab. Nach einem schnellen Frühstück ging es dann im Gänsemarsch, beladen mit Kühltruhen, Sonnenschirmen, Windeln und Babys zum Strand. Die Augen der Kinder die das Meer sahen, egal ob es nun tatsächlich das erste oder vielleicht schon das zweite Mal war, machten alle Umstände und Anstrengungen sofort wett (siehe Foto oben). Stundenlang spielten wir im seichten Wasser (keines der Kinder konnte schwimmen und die Wellen waren sogar für den australischen Surfer unter uns beängstigend) ohne müde zu werden. Nicht einmal Sandburgen oder Fußball waren eine ernsthafte Option die Kinder abzulenken. Es war als wären 32 kleine, strahlende Sonnen über dem Meer aufgegangen. Plus 2 große, die mir gehörten. Dieses Leuchten sollte uns helfen zu überstehen was passierte, als die echte Sonne schließlich untergegangen war. Nach einer sowohl end- als auch schlaflosen Nacht folgte ein weiterer Tag am Strand, den die Kinder in vollen Zügen genossen, wir Volunteers mit größter Mühe in einem wachen Zustand über die Runden brachten. Eine ganz neue Erfahrung war es zu sehen, dass ich offensichtlich Wünsche habe, die mich selbst beinahe umbringen (dass mir von den anderen Volunteers 2-3 Mal in Erinnerung gerufen wurde, das Ganze sei meine Idee gewesen, fasste ich mit größtem Misstrauen auf, da es sich zu diesem Zeitpunkt mit absolute Sicherheit nicht um ein Kompliment handelte). Für die Kinder waren es jedenfalls mit Sicherheit 2 der schönsten Tage ihres Lebens. Für mich 2 der schönschlimmsten. Sagen wir einfach, die schwierigen Umstände haben diese Erfahrung nur noch intensiver gemacht. Dies ist unterm Strich eine der besten Erfahrungen meines Lebens.
Ort der Woche: Mollendo Playa. Insgesamt 5 Tage der letzten Woche habe ich in diesem kleinen Städtchen verbracht. Nach 2 anstrengenden Tagen, kehrten wir für 3 weitere Tage mit allen Volunteers von Traveler Not Tourist dorthin zurück, um Silvester zu feiern. Auch diese 3 Tage waren anstrengend, aber obwohl wir auch diesmal auf einem Fußboden schlafen und zusätzlich auch noch beinahe rund um die Uhr Alkohol konsumieren mussten, waren diese Tage deutlich erholsamer. Wir verbrachten sowohl den letzten, als auch den ersten Tag des Jahres am Strand, vergaßen alle unsere freiwilligen Pflichten und genossen unseren 3-tätigen, wohlverdienten Urlaub. Das beste Jahr wurde mit dem besten Silvester gebührend verabschiedet, das Neue ebenso begrüßt. Ein frohes Neues Jahr wünsche ich auch Dir. Möge es auch für Dich voller Erfahrungen, Orte, Beobachtungen, guter Investitionen und interessanter Viecher sein.
Beobachtung der Woche: Mit ein bisschen Fantasie, bzw. einer klitzekleinen Notlüge, kann man sich fühlen wie die Hauptrolle in seinem Lieblingsfilm.
Die Kinder des Fräulein Reckeweg
Hauptdarsteller: Lena Reckeweg, Mauricio, Alberth, Jorge, Joel, Gabriel. In weiteren Rollen: Taxifahrer 1, Taxifahrer 2
(Szene 1:)
Wir befinden uns in einem Taxi, irgendwo auf dem Weg zwischen Arequipa und Mollendo. Am Steuer ein Taxifahrer, auf dem Beifahrersitz Alexsi, ein Volunteer aus Australien, auf dem Rücksitz sitzen 5 Waisenkinder zwischen 5 und 9 Jahren und Lena, ein Volunteer aus Deutschland. Während Alexsi schläft, versucht Lena die Vorfreude der Kinder auf 2 Tage am Meer, mit fantasievollen Geschichten anzufeuern. (Die Landschaft ändert sich, es wird bergiger. Die Sonne geht auf und auf einigen der Berge liegt eine Art weißer Staub)(Jorge fragt: )“Ist das Schnee?”(Lena: )“Nein! Es ist viel zu warm für Schnee. Das ist Zauberstaub, der aus den Bergen kommt!”
(Ein Murmeln geht durch die eng gequetschte Reihe Jungs, alle gucken gebannt aus dem Fenster)
(Cut)
(Szene 2:)
Wir befinden uns nun in einem staubigen Haus, die Kinder sitzen nach einem wunderschönen Tag am Strand am Abensbrottisch und essen.
(Lena fragt in die Runde: ) “So, was war denn das schönste an eurem Tag heute?” (Mauricio, 5, antwortet: )“Der Zug (den die Kinder auf dem Weg vom Strand gesehen haben), das Meer und der Zauberstaub.” (Lena ist überrascht über die Antwort und fragt einen der älteren Jungen nach seinen Vorlieben des Tages)(Joel, 7: ) “Das Meer und der Zauberstaub.” (Beeindruckt über den Einfluss dieser romantische Unwahrheit entsteht in Lenas Kopf ein Plan)
(Cut)
(Szene 3:)
Die Kinder liegen nun, jeweils zu Dritt in einem Bett und bitten Lena, als Gute Nacht Geschichte vom Zauberstaub zu erzählen. (Lena: ) “Diesen Staub gibt es nicht besonders oft. Schafft man es jedoch ein bisschen davon auf seine Hand zu nehmen, hat man einen Wunsch frei. Man muss ganz fest daran glauben und er geht in Erfüllung. Wenn wir Glückhaben, kann ich morgen den Fahrer überreden auf dem Rückweg anzuhalten und wir können versuchen etwas von dem Zauberstaub zu bekommen.” (Das Leuchten der Kinderaugen ist beinahe sogar durch ihre geschlossenen Augen zu sehen)
(Cut)
(Szene 4: )
Alle 5 Jungs sitzen auf der Rückbank eines anderen Taxis, Lena sitzt diesmal, als einziger Volunteer im Auto, auf dem Beifahrersitz. Die Jungs sind ganz hibbelig und endlich traut sich einer Lena zuzuflüstern: “Der Zauberstaub, Lena!” (Lena, etwas unsicher, da die Situation etwas schwierig ist, alle sind müde, ein zweites Auto voller Kinder und Waisenhausmitarbeiter befindet sich hinter ihnen, weiß, es gibt kein Zurück mehr. Sie fragt den Taxifahrer: )“Der weiße Staub auf den Bergen, sie wissen ja, dass es dieser seltene Zauberstaub ist. Denken Sie es ist möglich, dass wir kurz anhalten und ein bisschen davon holen?” (Der Taxifahrer guckt kurz verwirrt, sagt dann aber zum Glück: ) “Ja, also ich muss das Auto hinter uns anrufen und Bescheid sagen, dass wir außerplanmäßig anhalten müssen!” Lena wird nervös, das Ganze wird ihr etwas zu offiziell, sie hatte gehofft nur den einen Taxifahrer mit ihrer komischen Geschichte zu verwirren. Der Taxifahrer hat das Telefonat schon beendet und fährt zu Lenas Überraschung mitten auf dem Highway auf den Standstreifen und sagt: “Kein Problem!” Noch nervöser blickt Lena sich um, denn weit und breit ist kein Zauberstaub in Sicht. Der zweite Taxifahrer deutet auf eine Stelle auf der anderen Seite des Highways, circa 300 Meter entfernt. Entschlossen öffnet Lena die Autotür, ängstlich das eines der Kinder beim Überqueren der Straße verletzt wird. Auch die Kinder sind etwas nervös, nehmen sich alle bei der Hand und beginnen mit Lena über die Straße zu rennen. Durch den staubigen Wüstenstaub rennt Lena vor. Als sie sich umdreht sieht sie gegen das warme Nachmittagsgegenlicht die aufgeregten Augen der Kinder. Weitaufgerissene Augen strahlen sie an. Werden sie tatsächlich Zauberstaub finden und einen Wunsch wahr werden lassen? Einer der kleineren Jungs hängt zurück, er kann nicht gegen den tiefen Wüstenstaub an. Endlich erreichen alle den kleinen Fleck mit dem weißen Staub. Als Lena sich bückt und ein bisschen der weißen kreideartigen Substanz auf ihrer Hand nimmt, tun es ihr die Jungs nach. (Lena: )“Ok ich zähle bis 3, dann pusten wir alle den Zauberstaub von der Hand und wünschen uns was! 1, 2, 3”.(Stille. Nur der Wind ist zu hören, der den weißen Staub voller Kinderwünsche mit sich trägt. Für Weiteres ist keine Zeit, oben auf der Straße warten 9 müde Leute auf ihre Weiterfahrt. Getrennt rennen die Kinder los, irgendwie schafft es Lena trotzdem die Kinder sicher über den Highway und zurück in das Auto zu lotsen. Staubig und glücklich geht die Fahrt zurück ins Waisenhaus. Die Sonne geht unter, im Radio läuft “Californiacation” von den Red Hot Chili Peppers.)
The End.
Viech der Woche: Eine Seerobbe. Als ich mit 2 der Volunteerjungs nach draußen schwamm, um mit den gigantischen Wellen von Mollendo zu spielen, wurden wir zuerst von einer großen schwarzen Robbe begleitet und schließlich von einigen Rettungsschwimmer aus dem Wasser geleitet. Da die Robbe mit dem Erwähnen dieses zweiten Geleits wohl an Interesse einbüßt, gehe ich also direkt über, zu den kleinen peruanischen Rettungsschwimmern, in ihren noch kleineren Badehösschen. Wir Gringos müssen ihnen einen gehörigen Schreck verpasst haben, als wir so athletisch in den Wellen herumplanschten. Denn offensichtlich konnten sie ihren Augen nicht trauen, dass ein Mensch, vor allem ein Mädchen, mit Wellen umgehen kann. Völlig außer sich hüpften sie am Strand mit ihren Trillerpfeifen auf und ab, ohne dabei aber weiter als bis zu ihrem recht bodennahen Bauchnabel ins Meer zu geraten. Wir retteten uns also selbst aus der völlig unbrisanten Situation und schwammen zurück an Land. Ihre Hauptsorge war offensichtlich ich gewesen, das weiße blonde Mädchen, das 2 Köpfe größer und wahrscheinlich auch doppelt so stark war wie sie. Es war eine lustige Geschichte, die der Seerobbe leider völlig die Schau stahl.
Investition der Woche: 4,50 Soles (1,20€) für eine weiter kulinarische Ersterkundung. Da ich es am Reisen ja besonders liebe neue Speisen zu probieren, bat ich meinen Spanisch Lehrer mich in ein Restaurant abseits der Touristenströme zu bringen. Wir gingen also in einen dieser kleinen, recht einfachen Schuppen, denen in Deutschland am ehesten ein portugiesischer Verein gleicht. Am Eingang wurde auf einem Kohlegrill Fleisch in allen möglichen Formen und Farben geröstet. Eine Karte gab es nicht, denn halle aßen einfach das was auf den Tisch kam. Adolfo wusste zum Glück, dass eines der beiden zur Auswahl stehenden Speisen ein Teller gemischter Organe war und bestellte uns Kuhfleisch. Wir bekamen zwei Spieße mir wunderbar würzigen Fleischlappen und zwei große Kochkartoffeln. Das Fleisch war außerordentlich zart und würzig und ich verspeiste es mit größtem Genuss und in kürzester Zeit. Ich hatte gerade zufrieden die Gabel fallen lassen, als Adolfo mich fragte, ob ich denn nun auch wissen wolle welchen Teil der Kuh ich da gerade gegessen hatte. Noch unsicher über die Antwort die ich ihm geben wollte, bekam ich die Antwort: das Herz.
Rest der Woche: Es war eine dieser Wochen die so unglaublich schnell umgehen. Es sind die wirklich super guten Wochen mit denen das passiert. Ich habe Fronton gespielt (peruanisches Squash), lecker gegessen, viel gelacht, gefeiert, geträumt, Träume verwirklicht, Polvo Magico verstreut, 3 Nächte auf Fußböden geschlafen, ein gutes Jahr verabschiedet und gut ein Neues begrüßt. Eine wirklich gute Woche.
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